Opa

Heute wäre mein Opa 113 Jahre alt geworden, wäre er nicht mit 79 gestorben.

Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern an dem er gestorben ist. Das Wählscheibentelefon läutete spät am Abend und das Klingeln hallte im großen Haus. Meine Mutter eilte zum Telefon. Sie versuchte leise zu sprechen, was aber bei Ferngesprächen in den 80ern ziemlich schwer war. Meine Schwester und ich rannten zu ihr in den Flur, als wir hörten, dass sie Deutsch sprach. Das bedeutete, dass der Anruf aus Österreich war, was an sich etwas freudiges war, aber um diese späte Stunde könnte es nichts Gutes bedeuten. Und so war es auch. Mamas Stimme wurde immer zittriger und als sie auflegte flossen ihr die Tränen über das Gesicht: “Opa ist gestorben!”, sagte sie und umarmte uns fest. Wir haben uns dann zusammengesetzt und über unseren letzten Besuch bei ihm und der Oma in Oberösterreich gesprochen. Das hat uns gut getan.

Er war schon einmal vor dem Sommer sehr schwer krank gewesen, hatte aber noch den Lebenswillen nicht aufgegeben, weil er uns sehen wollte. Er hatte immer große Sorgen um uns, wegen des ersten Golfkrieges. Als wir im Sommer vom Flughafen direkt zu ihm ins Krankenhaus gefahren sind hat er gestrahlt vor Freude und wollte sofort mit uns nach Hause fahren. Die Schwester hat ihm aber erklärt, dass er sich noch ein paar Tage gedulden muss. Zu Oma hat er dann gesagt: “Gib ihnen das ganze Geld aus meiner Lade!” Und zu uns sagte er: “Kauft euch schöne Sachen damit!” Dann schaute er noch zu meiner Schwester, die schon ein Teenager war und sagte ihr: “Kannst dir Schuhe kaufen!” er wusste genau was sie mag.

Der Sommerurlaub war, wie immer, wunderschön in Österreich und die Energie die wir getankt haben, hat für das restliche Jahr in Bagdad ausgereicht. Beim Abschied war er sentimental, vielleicht spürte er, dass wir uns nie wieder sehen würden. Ich war zu jung, um das zu verstehen und habe mich mit der Selbstverständlichkeit eines Wiedersehens verabschiedet.

Wenn ich heute an ihn denke, dann sehe ich ihn im Garten mit der Pfeife sitzen. Er nahm uns selten auf den Schoß und er spielte auch nicht mit uns wie die Oma, aber er war da und war glücklich, dass wir auch da waren. Es war seine Art uns seine Liebe zu zeigen.

Täglich musste er viele Pillen nehmen und ich war über glücklich, wenn er mich beauftragt hat sie zu holen. 7 oder 8 bunte Pillen, ich fühlte mich erwachsen und verantwortungsvoll, wenn ich ihm die Pillendose bringen durfte.

Faszinierend war auch sein Frühstück. Milchkaffee in einem Reindl und er brockte eine Semmel ein. Ich fand es extrem appetitlich, durfte aber keinen Kaffee trinken.

Über seine Kindheit und Jugend hörten wir nur von Oma. Er war nur im hier und jetzt.

Heute, im Verwandtschafts-chat auf WhatsApp, schreiben alle über Opa und teilen Fotos von ihm. Ich lese die Nachrichten vor dem Fenster und plötzlich ist ein wunderschöner Regenbogen vor mir. „Opa, bist das du?“

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Corona-Times

Dienstagmorgen in der U3 Richtung Simmering:

Es hallt eine Durchsage: „Wegen eines Rettungseinsatzes in der Station Zieglergasse, kommt es zu längeren Wartezeiten….“

Eine Stöhnwelle geht durch den Zug und man hört Kommentare wie: „Na, super! Jetzt komm i z‘spät!“, „Oida, des gibt‘s ned!“ usw.

Die Frau neben mir beschließt, dass alle, die rund um sie sitzen, großes Interesse daran haben ihren Unmut zu hören und hält einen lauten Jammermonolog.

Der Mann vor mir murmelt genervt vor sich hin und ich höre so Textfetzen wie: „hoit‘s Maul Oide… a Wahnsinn … geh bitte“.

Jetzt fällt mir eine andere Frau auf, die ein Plakat als Mundnasenschutz trägt. Ich versuche zu lesen: „Covid 19 Virus Lüge sind: Parasiten …“ Ich kann den Rest nicht erkennen. Sie sprach gerade mit ihren Sitznachbarn und teilte ihnen ihre Verschwörungstheorie mit.

Ich überlege, ob ich aussteigen soll, aber ich habe einen Sitzplatz und noch Zeit, also beobachte ich weiter die Verschwörungstheoretikerin, überlege wie hoch die Ansteckungsgefahr im immer voller werdenden Wagon ist und versinke dabei tief in meinen Gedanken.

Wird das Thema Corona langsam zur Religion? Manche glauben daran, andere spüren höhere Mächte dahinter und einige zweifeln überhaupt an der Existenz des Virus. Klar, wir sind nicht alle Wissenschaftler und bekommen die Informationen nicht aus erster Hand, also bleibt uns nur der Glaube. Der Glaube an das, was die Medien berichten, die Regierungen bestimmen oder an die Gegenstimmen im Hintergrund, deren Videos immer wieder gelöscht werden aus den sozialen Netzen, weil sie vielleicht doch die einzige Wahrheit sprechen?

Ist es ein riesen Plan um die Welt zu verändern? Ist China dahinter, Russland, die USA oder Bill Gates?

Vielleicht sind es die unsterblichen weißhaarigen Herrn die in einem dunklen Bunker sitzen, die aus Kinderblut gemachte Drogen einnehmen und die unsichtbaren Fäden des Weltgeschehens ziehen?

Angst und Ungewissheit bestimmen die Corona-Zeiten und nichts spaltet eine Gesellschaft mehr, als Glaube und Angst.

Die Geschichte hat uns gezeigt, dass die schlimmsten Kriege im Namen unsichtbarer Götter geführt worden sind.

Aber wie kann man nun die Angst nehmen und Wissen statt Glauben verbreiten?

Die Durchsage ertönt: „Der Rettungseinsatz wurde beendet…“. Der Zug fährt weiter.

Ich steige in der Neubaugasse aus.

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Hitzewelle

Es war im Juli 2003, als ich von Bagdad nach Wien gezogen bin. Schon beim Anflug habe ich gemerkt, dass irgendetwas anders war als sonst. Es war der gelbe Schleier, der sich auf den Feldern von Österreich verbreitet hat und uns, statt dem satten Grün, das sonst unsere Herzen aufblühen ließ, begrüßt hat.

Meine Schwester, die mit mir war, sagte: “Das ist ja fast so trocken wie Bagdad!”

Nach dem Landen haben wir die ungewöhnliche Hitze zu spüren bekommen und meine Mutter, die auf uns wartete meinte: “Es ist einer der heißesten Sommer in Wien!”

Diese Hitzewelle hat man nicht nur an den gelblichen Pflanzen gesehen sondern auch an den Gemütern der Menschen:

Es war in einem Bus der Linie 13A als zwei Männer, total ohne Grund, aufeinander losgingen. Sie schrien sich so arg an, dass ich mir dachte, sie werden sich bald gegenseitig die Köpfe einschlagen. Die Situation ist nur nicht zur Eskalation gekommen, weil einer der Streitenden ausgestiegen ist.

Das gleiche Phänomen, habe ich mehrmals beobachten können. Einmal hat sogar der Straßenbahnfahrer eine Frau angebrüllt, weil ihr Kind nicht aufhörte zu schreien. Er sagte: „Geh bitte, steigen’s aus. Des Geschrei höt ja ka’na aus, bei der Affenhitze no dazu!“

Die Frau, die schon mit dem tobenden Kind im Kinderwagen überfordert war, verließ die Straßenbahn mit Tränen in den Augen.

Die Hitze hat, wie man so schön auf Wienerisch sagt: „Olle ins Hirn geschissen“.

Zurückblickend nach Bagdad, wo es im Sommer bis zu 53 Grad Celsius im Schatten haben kann und jeder normaler Thermometer in der Sonne platzt, ist mir klar geworden, warum es dort immer wieder zu Streitereien kommt. Besonders am Markt und im Straßenverkehr hörte man oft eine lautstarke Auseinandersetzung, um die sich schnell eine große Menschenmenge versammelte, deren Rollen zwischen Zuschauer, Hetzer und Schlichter variierten.

Meistens endeten auch diese Streitereien friedlich und die laute Versammlung löste sich wieder auf.

Was bleibt ist die Hitze, die bald wieder jemanden ins Hirn…!

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Fliegende Monster

Als ich am 27. Juli 2017 im Büro war und einen lauten, immer näher kommenden Hubschrauberlärm hörte, dachte ich mir: „Es muss ein Rettungshubschrauber sein.“ Aber als der Ton immer lauter wurde und das Bürohaus richtig zu vibrieren begann, eilten wir zum Fenster und sahen die Verursacher. Es waren vier riesige US-Militärhubschrauber.

Obwohl ich wusste, dass es sicher kein Angriff war, ist es mir eiskalt über den Rücken gelaufen und ich spürte dieselbe Angst in mir, die ich bei meiner letzten Begegnung mit so einem Hubschrauber hatte…

Das war im Mai oder im Juni 2003. Bagdad war am 9.April gefallen und die amerikanischen Soldaten haben gemeinsam mit den Alliierten das Land mehr oder weniger „kontrolliert“.

Mein Mann war in der Arbeit und ich war im Haus und spielte mit meinen beiden Kinder, damals 2 und 4, im Kinderzimmer.

Man hörte den ganzen Tag Hubschrauber und Kriegsflieger herumschwirren im Himmel, dass man sich schon fast daran gewöhnt hatte. Aber plötzlich näherte sich ein Hubschrauber so nah an unser Haus heran, dass alles zu beben begann.

Mein Herz raste. Ich habe meinen Sohn aufgehoben und meine Tochter an der Hand genommen und bin auf die Dachterrasse rausgerannt. Der Wind vom Hauptrotor wirbelte unsere Haare auf. Ich schaute rauf und das schwarze Monster-Ding, stand im Flug genau über dem Haus. Die Windschutzscheiben reflektierten die Sonne und blendeten mich, hinten war die Schiebetür halboffen und eine schwere Waffe war auf uns gerichtet. Sie waren so nah, dass ich Augenkontakt hatte mit dem US-Soldat der hinter der Waffe stand.

Meine Knie waren weich, mein Herz raste mir fast aus der Brust. Das einzige was ich machen konnte war auf die Kinder zu deuten und „Children“ zu sagen. Er hörte mich sicher nicht, ich hörte mich selbst nicht, aber das Deuten auf die Kinder hat er wahrgenommen. Er nickte mir zu und der Hubschrauber flog wag.

Ich bin auf die Knie gegangen und habe meine Kinder fest an mich gedrückt. Die beiden waren vom Lärm benommen und haben sich mit aller Kraft schweigend an mich geklammert.

Ich blieb so, bis ich die besorgte Stimme meiner Schwester wahrgenommen habe die nach mir gerufen hat. Sie wohnte gegenüber und rannte zu mir, als sie den Hubschrauber über dem Haus sah.

Was die Soldaten im Hubschrauber suchten oder machen wollten werde ich nie wissen. Was ich aber mit Sicherheit weiß, ich werde immer Panik haben vor diesen fliegenden Kriegsmonstern, egal ob sie in Bagdad irrtümlich über unser Haus kreisen oder versehentlich über Wien fliegen.

*Orf Bericht vom 27.07.2017: https://wien.orf.at/v2/news/stories/2857316/

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Parken leicht gemacht

Seit Juli 2003 lebe ich in Wien. Davor habe ich für 24 Jahre in Bagdad gelebt. Es ist also nicht schwer zu verstehen, dass ich bei den unterschiedlichsten Situationen Vergleiche zwischen den zwei Städten ziehe.

So denke ich mir oft „In Bagdad wäre das nie passiert“ oder „Es geht uns so gut in Wien“ aber auch „das ist ja genau wie in Bagdad“

Ein Bespiel für so eine Situation ist das Einparken.

Ich fahre sehr selten mit dem Auto in Wien. Man braucht es nicht wirklich und ich hasse es einzuparken. Ich weiß, heutzutage gibt es tolle Autos die das selbst erledigen, aber das Privileg so ein Auto zu fahren hatte noch nicht.

So war es einmal in Bagdad, kurz nach dem ich den Führerschein machte, dass ich beim Versuch eine Parklücke anzupeilen total verzweifelt bin.

Drei Passanten hatten sich schon aufgestellt, um mir Anweisungen zu geben. Der einer schrie mir zu: „Lenke stark nach rechts ein!“, der andere rief: „Lenke im stehen und fahre dann langsam los.“

Ich war ziemlich verwirrt und konnte bald nicht mal rechts von links unterscheiden, da öffnete einer von ihnen die Autotür und sagte: „Steig‘ aus Schwester, ich parke es für dich ein!“

Er hat das Steuer übernommen, das Auto in drei Sekunden abgestellt und mir den Schlüssel übergeben. Er war mein Retter in der Not und ich war ihm endlos dankbar.

Beim Einparken in Wien, fehlen mir oft diese freiwilligen Parklotsen. Da habe ich eher so ein Gefühl, dass manche still und neugierig zuschauen, um mit sich selbst zu wetten ob die Frau da am Steuer es schaffen wird oder nicht.

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Das ist die Aida!

An einem herrlichen Juni-Nachmittag, saßen meine Kinder und ich im Schanigarten der Aida Konditorei Bognergasse in der Innenstadt. Wir warteten noch auf unser Eis, als sich ein sehr elegantes älteres Paar an den Tisch neben uns setzte.

Sie begrüßten uns höflich und wir erwiderten den Gruß.
“Sehr freundlich!“ dachte ich mir. Es ist ja sehr selten, dass jemand grüßt in der Innenstadt, da viele Touristen unterwegs sind und es immer hektisch zugeht.

Ich warf einen kurzen Blick auf die beiden und dachte mir dabei: “Die gehen sicher noch auf ein Konzert oder ins Theater.” Die Frau hatte die Haar hoch toupiert und trug ein schönes, grünes Kleid aus Seide mit einer großen Diamantenbrosche auf dem Kragen, der Mann schick im klassischen eleganten Lodenanzug. Sie plauderten kurz miteinander, als der Blick der Dame auf die Speisekarte fiel. Wie vom Blitz getroffen sprang sie auf und sagte in einem erschrockenen Ton zu ihrem Begleiter: “Das ist die Aida, das ist die Aida!”

Ihr Mann konnte nicht sofort verstehen was sie meinte. Er sah sie an und murmelte nur: “Was?”. Sie sagte mit einem sehr bestimmten Ton: “Steh auf! Das ist die Aida!”

Jetzt hatte er es auch verstanden. Er schaute auf das Schild der Konditorei und sprang auch auf. Die beiden gingen los, ohne sich umzudrehen oder „auf Wiedersehen“ zu sagen. Zehn Meter entfernt von uns setzten sie sich wieder nieder. Diesmal aber an einen Tisch beim „Schwarzen Kameel“.

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Rushhour

Es ist 17:00 in Wien, das bedeutet Rushhour in der U-Bahn. Die Menschen stürmen aus der Bahn, sobald sich die schweren Türen der alten U2 Garnitur zu Seite schoben. In diesem Rummel versuchte eine blinde Frau sich vorzutasten. Keiner beachtet die zarte Frau mit Hund und langem Stock. Mühsam gestaltet sich ihr Weg durch die Menge. Die einen rempeln sie, weil sie zu langsam ist, die andren stolpern über ihren Stock und einige schimpfen vor sich hin, weil ihr Hund ihnen den Weg versperrt. In diesem seltsamen Wimmelbild schien nur sie zu sehen. Sie war die einzige die rücksichtsvoll und behutsam durch die Masse schlich. Die andren waren blind. Sie hatten Keine Zeit für das Geschehen  rundherum. Beschäftigt mit dem Handy, durchdröhnt von Musik oder einfach nur den Kopf  tief in der eigenen Gedankenblase steckend. Rücksicht, gesunde Neugier und Interesse an der Umgebung haben wir wohl verlernt.

Die vier Larven

Obwohl ich dachte, dass ich immer mit offenen Augen durch Wien gehe und Kunst und Kultur überall wahrnehme, bin ich scheinbar eine richtige „Kulturbanausin“!

Ich gehe schon seit Jahren über die Stubenbrücke und denke dabei immer wieder: „Wann ist die Restauration der verhüllten Statuen endlich abgeschlossen? Das kann doch nicht ewig dauern?“

Ganz ehrlich, ich habe die Skulpturen auch nie richtig angeschaut. Meistens fällt mein Blick auf den Wienfluss, um zu sehen wie viel Wasser gerade fließt oder ich überlege, ob ich durch den Stadtpark gehen soll oder doch außen herum.

Seit ich auf Instagram bin und beinahe alles auf seine Fototauglichkeit überprüfe, habe ich mir die Zeit genommen um die Statuen näher zu inspizieren und ich war sehr überrascht! Ich stellte auf einmal fest: Hier ist nichts verhüllt, es sind komplett fertige Statuen. Da kann ich ewig warten!

Naja, jetzt wo ich es weiß ist es eigentlich eindeutig, dass es Skulpturen sind und keine Verschalungen, um etwas zu verbergen oder zu schützen. Sie sind nur ungewöhnlich für den ersten Bezirk. In der Innenstadt erwarte ich Stein- oder Bronze Skulpturen mit aufwendigen und feinen Detailarbeiten von berühmten Persönlichkeiten oder Heiligen. Diese vier weißen Massen hier sind modern und haben klobige, runde Umrisse. Sie sind außergewöhnlich, unförmig und doch irgendwie sympathisch mit ihren riesen Nasen und verzogenen Mündern.

Später am Tag habe ich diese Skulpturen „gegooglet“ und zu meinem Trost herausgefunden, dass sie Larven (Masken) heißen. Also ich kann mir einreden, dass ich sie immer schon richtig als Larven wahrgenommen habe und einfach auf ihre Entpuppung wartete! Dass der Künstler Franz West mit den Larven oder Lemurenköpfen, wie sie auch noch genannt werden, „den Dialog zwischen skulpturalem Objekt und BetrachterIn herausfordern“*  wollte, ist ihm bei mir auf jeden Fall gelungen. Ich blieb nämlich kurz vor einer der Skulpturen stehen, um ein Foto zu machen und murmelte leise vor mich hin: „Du versteckt ja gar nichts hinter Deiner weißen Hülle. Du bist die Hülle!“ Die Mimik der Skulpturen ist vielseitig interpretierbar. Für mich wirkte der zusammengezogene Mund mit den schmalen Lippen und die weit geöffneten riesigen Nasenlöcher als würde sie mir sagen wollen: „Ja, es war aber auch schon höchste Zeit, dass du endlich draufkommst!“

Ich habe wieder was dazu gelernt und meine Welt ist um vier Köpfe, weiße Massen, Larven… größer geworden.

Ja, und  die Stubenbrücke, die ist für mich nicht mehr „Die Brücke neben dem Stadtpark“, sondern „Die Brücke mit den vier Larven“!

* http://www.mak.at/franz_west___vier_lemurenkoepfe

 

Essen für drei

Über gute Taten sollte man eigentlich nicht sprechen, aber ich schreibe gerne über Ereignisse, die ich nicht vergessen möchte und das ist eines davon.

Es war an einem Freitagnachmittag und das Wetter war herrlich. Ich verließe das Büro und rief, wie fast jeden Tag, meine Schwester an. Leider war sie nicht gut gelaunt. Um sie aufzuheitern, überredete ich sie zu einem Spaziergang über den Flohmarkt in der Neubaugasse. Wir gingen langsam über den Markt und blieben immer wieder vor den Ständen stehen, um das vielfältige Angebot zu betrachten. Ab und zu fanden wir auch Stücke, die uns gefielen. Gekauft haben wir aber am Ende nichts. Später trieb uns der Hunger zum Lokal „Maschu Maschu“ und ich beschloss, meine Schwester zum Essen einzuladen. Wir setzten uns an einen Tisch im Schanigarten und gaben unsere Bestellung auf. Wie so oft war die Gier größer als der Hunger oder waren einfach die Portionen viel zu üppig? Auf jeden Fall waren wir nach der Hälfte unseres Essens bereits satt.

Von Weitem sahen wir einen sehr alten, gebrechlichen und ungepflegten Herrn, der bei den Gästen um Essen bettelte. Er näherte sich, wie zu erwarten, unserem Tisch. Sein Anblick löste in mir Mitleid aber auch Unwohlsein aus. Ich sah meine Schwester an und bemerkte, wie sich die Tränen in ihren Augen sammelten. Sie ist noch näher am Wasser gebaut als ich. Sie schaute mich an und sagte: „Geben wir ihm das Essen?“ „Nein“ hätte ich in diesem Moment unmöglich sagen können. Der Mann sah sehr arm aus und wir hatten zu viel zu essen. Also ignorierte ich meine Berührungsängste und stimmte meiner Schwester zu. Sie reichte ihm einen Teller mit dem, zum Teil, unberührten Essen. Er sah uns ein bisschen skeptisch an. Als er aber bemerkte, dass wir es ernst meinten, streckte er seine Hand aus und nahm den Teller. Er nickte mehrmals dankend und begann mit großem Genuss zu essen. Meine Schwester, die noch immer mit den Tränen kämpfte, sagte zu mir: „Er kann so im Stehen nicht essen. Ich sage ihm, er soll sich zu uns setzen!“ Dieses Mal musste ich nicht antworten. Sie deutete auf den freien Stuhl an unserem Tisch. Der Mann zögerte zuerst aber als er sah, dass wir beide auf den Stuhl zeigten, setzte er sich nieder. Er hatte ein breites Lächeln im Gesicht und schüttelte uns herzlich die Hände. Wir schoben ihm noch den Salatteller zu und ein Stück Brot. In der zwischen Zeit richteten sich immer mehr Blicke auf uns. Die meisten Leute waren berührt. Nur der Kellner, so denke ich, war nicht sehr erfreut über unsere Aktion. Eine Frau, die am Nebentisch saß, bemerkte: „Das ist sehr nett von Ihnen! Er hat sicher schon lange nicht mehr so gut gegessen.“ Der alte Herr sah sie an und zeigte auf drei Schälchen mit scharfen Soßen, die auf ihrem Tisch standen. Die Dame reichte sie ihm und er gab etwas von der grünen und schärfsten Soße auf sein Essen. Wir dachten, ihm seien die Soßen bekannt und er ist sich deren Schärfe bewusst. Aber als er mehr und mehr auf das Essen gab, versuchten wir ihn zu warnen. Da er offensichtlich kein Deutsch und auch keine Englisch sprechen konnte, blieben die Warnungen von uns Dreien erfolglos. Er lächelte uns nur an und nahm einen großen Löffel, gefüllt mit Hummus und Soße, in den Mund. Leider verging ihm sofort das Lächeln und er schnaubte nur noch. Unser Versuch ihm ein Getränk zu bestellen blieb erfolglos, da der Kellner unseren Tisch mied. Der Herr pickte sich noch die Stücke heraus, die nicht bedeckt waren von der Soße, aß den Salat und das Brot, bedankte sich nochmals mit Kopfnicken und Händeschütteln und ging davon.

Schade, dass er sein Essen nicht bis zum letzten Bissen genießen konnte. Aber vielleicht hatte er schon lange einen Appetit auf diese farbenfrohen Soßen und jetzt wusste er endlich wie sie schmecken.

Eine Frau, die eine paar Tisch entfernt saß, kam zu uns und sagte: „Ich bin froh zu sehen, dass es solche Menschen wie Sie gibt!“ Jetzt hatte ich auch Tränen in den Augen. Der Tag fühlte sich richtig gut an. Ich bedankte mich bei meiner Schwester, denn ohne sie wäre der Abend niemals so schön verlaufen.

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Der traurige Bezirk

Kurz vor Weihnachten fingen die Menschen an, die Hauptstraßen in ihren Bezirken festlich zu schmücken.

Der erste Bezirk bekam riesige Leuchter über dem Graben und Lichterwellen wurden über die Kärntner Straße aufgehängt, die kahlen Bäume auf der Ringstraße erstrahlten mit tausenden von kleinen Lichtern und über der Josefstädter Straße strahlten blaue Lichterkugeln. Eigentlich wurden alle Wiener Bezirke bis auf einen geschmückt. Nur ein Bezirk musste traurig zusehen, wie alle Bezirke rund um ihn im festlichen Lichterglanz erstrahlten. Es war der Siebzehnte. Er wartete und wartete, dass seine Bewohner kommen, um seine geliebte Hernalser Hauptstraße zu schmücken, aber keiner kam.

„Sie werden bestimmt noch kommen! Es ist ja noch nicht Heiligabend. Sie werden es sicher noch rechtzeitig schaffen!“, redete er sich ein.

Leider wartete Hernals vergeblich, denn die Hernalser kamen nicht.

An Heiligabend gingen alle Leute mit Christbäumen und Geschenken nach Hause. Er hörte die fröhlichen Stimmen aus den Wohnungen und das Läuten der Kirchenglocken. Er schaute nach rechts zur Währinger Straße und nach links zur Thaliastraße, die beide feierlich in den Himmel strahlten. Er wurde immer trauriger und musste weinen. Seine Tränen fielen auf die Dächer der Häuser. Anfangs waren es nur wenige Tränen, aber dann flossen sie in Strömen. Er könnte sie einfach nicht mehr zurückhalten. Niemand sah den weinenden Bezirk, nur der Mond, der gerade auf seinem Weg in die Himmelsmitte war. Er sah die Träne, die wie Perlen an den Dächern und an den Stromleitungen hingen und beschloss dem siebzehnten Bezirk eine Freude zu machen. Er schob die Wolke, die seine Strahlen verdeckte zu Seite und leuchtete mit voller Kraft runter auf Hernals. Das Licht fiel auf den Tränen und brachte die Hernalser Hauptstraße zum Strahlen, wie ein glitzerndes Diamantenmeer. Es funkelte so hell, dass alle anderen Bezirke bewundernd nach Hernals schauten.

Diese Nacht war die schönste Weihnachtsnacht für den siebzehnten Bezirk.

Leider haben die Bewohner von Hernals diesen wunderschönen Augenblick verpasst!